Die rennfreie Winterpause war lang, und so war ich froh, dass sich im April wieder die ersten MTB Marathons in der näheren Umgebung im Rennkalender finden. Um vor den 24h von Alfsee wenigstens ein paar Rennkilometer zu sammeln, war ich bis in die Haarspitzen motiviert den Körper wieder ans Wettkampftempo zu gewöhnen – wäre da nur die Wettervorhersage nicht gewesen…
Also am Samstagabend das Wohnmobil beladen und auf nach Münsingen zum ALB-Gold Frühjahrsmarathon. Über stark 40km und 800hm führt die Marathonstrecke auf einem schnellen Kurs über die Schwäbische Alb. Und zu gewinnen gibt es jede Menge Spätzle vom Hauptsponsor des Events – was will man mehr 😉
Als ich am frühen Sonntagmorgen die Jalousie des Wohnmobils aufmache, trifft mich die Realität dann doch hart, als ich auf eine schneebedeckte Wiese blicke. Wer will da schon aus dem warmen Wohnmobil aussteigen und das Rad startklar machen. Aber es hilft ja alles nichts…. also noch schnell ein paar Leckereien zum Frühstück.
Und schon geht es raus, um das Rad für den Start fit machen und mich noch etwas einzufahren.
Pünktlich um 10Uhr fällt dann der Startschuss und wie üblich bei solch kurzen Rennen geht es nach dem Start gleich los, als gäbe es kein Morgen. Sein eigenes Tempo zu fahren macht aber keinen Sinn, da dann die guten Windschattengruppen weg sind. Also ignoriere ich die kritisch hohe Wattanzeige am Lenker und fahre Vollgas mit. Nach einer Weile formiert sich eine größere Gruppe, in der sich ein paar andere Fahrer und ich zumindest anfänglich noch regelmäßig in der Führungsarbeit abwechseln. Die Gruppe wird trotz der ein oder anderen Tempoverschärfung nicht wirklich kleiner und als die Windschattenlutscher keine Anstalten machen auch einmal in die Führung zu gehen, legen wir vorne in der Gruppe im letzten Renndrittel eine Zeitlang auch die Beine hoch. Mein Puls sinkt wieder und es fühlt sich passend zum Wochentag plötzlich an wie eine gemütliche Sonntagsausfahrt – und auch die Sonne lässt sich plötzlich blicken 🙂 Ein Blick zurück zeigt aber, dass bald die nächsten Fahrer zu uns aufschließen, wenn wir weiter so bummeln. Und so verschärfen wir das Tempo wieder deutlich und nutzen die nächsten Wellen im Höhenprofil um die Gruppe nach und nach zu dezimieren. Im Finale der letzten Kilometer sind wir so nur noch 5 Fahrer, die es nochmal richtig krachen lassen. Ich gebe am letzten Schotteranstieg vor den finalen Trails des Zielhangs alles und schaffe es mit etwas Vorsprung und Sternchen vor den Augen in die letzte Abfahrt. Aber Sebastian Büchele lässt nicht locker und so muss ich die letzten Meter nochmals alles aus den müden Beinchen wringen, um es vor ihm nach 1:32:07.1 mit gerade einmal 3 Zehntelsekunden Vorsprung und als erster unserer Gruppe über die Ziellinie zu schaffen.
Als ich wieder halbwegs zu Atem gekommen bin, wird natürlich gleich die leckere Finisherverpflegung geplündert und schlammbepackt die Ergebnisliste gecheckt.
Da ich seit diesem Jahr mit Jahrgang 1979 in der Ü40-Klasse an den Start darf, bin ich gespannt, ob sich der Altersbonus bezahlt gemacht hat. Und tatsächlich: der Altersbonus, die Überwindung des wärmeliebenden inneren Schweinehundes und der Kraftakt auf den letzten Metern haben sich gelohnt, und ich freue mich riesig, dass mich der harte Kampf um die letzten 3 Zehntel auf Platz 1 meiner Altersklasse katapultiert hat.
Top motiviert für die kommenden Rennen, frisch geduscht und mit einer Familienpackung feinster Alb-Gold Nudelsorten mache ich mich wieder auf den Heimweg. Zu Hause angekommen bedanke ich mich bei meiner Centurion Rennmaschine für den klaglosen Einsatz mit einem ausgiebigen Schaumbad und frischem Öl. Nächster Stopp 24h Alfsee 🙂
Rennbericht in aller Kürze: 540km (108 Runden), ~6.650Höhenmeter, heiß, heißer, am heißesten, super Orga, geniale Zuschauer, hilfsbereite Mitstreiter, Sieg bei den Solostartern, geiles Event, Prädikat empfehlenswert, gerne wieder 🙂
Eine Arbeitswoche ist vergangen. Der Familienurlaub hat gerade begonnen. Zeit das Erlebte zu (virtuellem) Papier zu bringen, bevor das hitzige Schweizer Wochenende der „24 Stunden von Schötz“ von neuen kühleren Eindrücken aus Schweden überlagert wird.
Und natürlich an meinen Schatz Sandra, die mir ein Urlaubswochenende ohne Family gegönnt hat.
Die Vorbereitung
Bereits einige Tage vor dem Rennen fängt es an. Verpflegung, Werkzeug, Ersatzteile, Zelt und Campingausstattung lege ich nach und nach bereit. Denn ab Donnerstag wird es langsam ernst. Am Abend nach der Arbeit hole ich den Mietwagen fürs Wochenende, damit Sandra und die Kids, trotz meinem Ausflug in die Schweiz, unser Auto benutzen können. Dann noch schnell das Back-up Bike für Notfälle bei Marcus von www.bike-werf.de abgeholt und alles im Auto verstaut. Am Freitagfrüh um kurz nach 6Uhr geht es vor der Arbeit noch für eine 45minütige Vorbelastung auf die Rolle, um den Körper für das kommende Rennen heiß zu machen. Der Kopf braucht keine Vorbelastung mehr – die Gedanken kreisen dank Packstress sowieso schon seit Tagen um das Event 😉
Der Tag im Büro ist schnell Geschichte und am Nachmittag starte ich in die Schweiz. Der Plan ist einfach: bereits am Vortag anreisen, Zelt im Fahrerlager aufbauen und am Samstag ausgeschlafen und völlig entspannt am Start stehen. Als ich in Schötz ankomme, läuft alles noch nach Plan. Der Veranstalter hat alles perfekt vorbereitet. Die Plätze auf der Wiese im Fahrerlager sind bereits abgesteckt, man wird von freundlichen Helfern direkt eingewiesen, die Klohäuschen und die Stromverkabelung sind bereits aufgebaut und auch die Turnhalle mit den Duschen ist schon nutzbar. Auch der Zeltaufbau läuft reibungslos – auch wenn das heiße Wetter mich danach direkt zum ersten Test der Duschen animiert. Der Plan gerät nur leicht ins Stocken, als ich merke, dass das Fahrerlager direkt neben einer vielbefahrenen Straße liegt, und mein Zelt im Windstoß der LKWs und im Schein einer Straßenlaterne nicht die besten Voraussetzungen für eine erholsame Nacht bietet. Da ich alleine angereist bin, hilft jammern sowieso nicht – es hört ja niemand zu – und ich versuche mich auf meine Kernkompetenz – Schlafen – zu besinnen. Die ersten Sonnenstrahlen treiben mich dann wieder aus dem Zelt und ich nutze die gewonnene Zeit dazu, in aller Ruhe meine Centurion Rennfeile für die anstehenden Strapazen vorzubereiten.
Vor dem Start
Um die 24 Stunden später ohne geplante Pause bewältigen zu können, setze ich bereits ab dem Aufstehen ausschließlich auf Flüssignahrung. So besteht das Frühstück nur noch aus Ensure Plus. Auch das restliche Equipment (z.B. Beleuchtung für die Nacht, zweiter Helm mit montierter Stirnlampe, …) richte ich alles so parat, dass keine längeren Pausen notwendig sein sollten. Und das Rad bekommt auch noch etwas Zuwendung. Ich montiere einen frischen Hinterreifen, ein 34er Kettenblatt und meine neuen Spirgrips Innerbarends. Da ich kein Supportteam an der Strecke habe, habe ich von zu Hause auch fast meine gesamte Fahrradflaschensammlung mitgebracht und fülle 24 Radflaschen (für jede Stunde eine) mit Isogetränk. In jede Flasche kommt wegen der Hitze auch noch eine Schwedentablette, um den Salzverlust über den Schweiß besser auszugleichen. Dazu noch als Kalorienbombe ein Ensure jede Stunde und der Speiseplan für die kommenden 24 Stunden steht. Die ganze Ladung für echte Gourmets stelle ich in zwei Klappboxen direkt an die Strecke, um während dem Rennen zügig an Nachschub zu kommen.
Reste nach Schlacht
Noch kurz die 5km Runde einmal abgefahren und ich mache mich – bereits schweißüberströmt – auf den Weg zum Startblock. Dort parke ich mein Bike in einer der vorderen Reihen und setze ich mich, bis kurz vor dem Start, unter einen Baum. Bei 35° im Schatten zwar auch keine echte Abkühlung, aber zumindest droht kein sofortiger Hitzekollaps 😉
Kurz vor dem Start wird noch der Vorjahressieger Kevin Tanner interviewt, der zur Titelverteidigung angereist ist. Da ich mir zumindest Chancen aufs Podest ausrechne, präge ich mir sein Outfit ein und nehme mir vor, mich an seiner Pace zu orientieren.
Startphase
Pünktlich um 14:00Uhr ertönt endlich der Startschuss und es geht los in die erste Runde. Wie zu erwarten geht es gleich richtig zur Sache, da neben den Solofahrern auch 2er, 4er, 6er und 8er Teams auf die Strecke gehen. Wie bei jedem Start ist das Fahrerfeld zu Beginn auch noch unheimlich nervös. Ein paar Mal kommt es auch bei mir zu Beinahezusammenstößen – aber mit etwas Glück und defensiver Fahrweise geht alles gut. Ich halte die Augen nach den direkten Kontrahenten aus der Soloklasse offen und sehe, dass hier auch voll auf die Tube gedrückt wird. Die ersten Kilometer bleibe ich noch in Sichtweite, aber die Wattwerte auf meinem Display sagen mir überdeutlich, dass das nicht die richtige Pace auf einer solch langen Distanz für mich ist. Die Beine sind noch frisch und gieren nach Speed, das Adrenalin pulsiert durch meine Adern und vernebelt das Gefühl fürs Laktat, der Instinkt schreit dranbleiben. Mein ganzer Körper bettelt darum in den Kampf zu ziehen. Aber ganz leise meldet sich auch die Stimme der Vernunft aus dem Präfrontalen Cortex… und mir fällt das Mantra wieder ein, das ich mir bereits für andere Langstrecken zurechtgelegt habe: Hinten wird die Ente fett.
Es ist zwar mein erstes 24 Stundenrennen, aber bei anderen Ultracyclingevents auf dem Rennrad und von Berichten anderer Starter weiß ich, dass das Rennen erst in der zweiten Hälfte „richtig“ beginnt und sich ein zu hohes Anfangstempo dann bitter rächen kann. Ein erbitterter Kampf Instinkt versus Ratio entbrennt irgendwo zwischen Helm und Hals, den die Vernunft knapp für sich entscheidet. Und so nehme ich schweren Herzens wieder etwas Druck vom Pedal. Doch die Verlockung ist groß. Immer wieder überholen mich schnellere Teamfahrer und ich muss gebetsmühlenartig mein Mantra wiederholen, um mich nicht voller Enthusiasmus in die schnellen Gruppen einzuklinken.
Der Streckensprecher gibt bei jeder Runde die aktuelle Platzierung durch und ich stelle wieder etwas beruhigt fest, dass Platz eins und zwei zwar enteilt sind, ich mich aber auf dem dritten Platz festgesetzt habe. Also alles noch im Lot und ich kann auch noch fröhlich für die Kamera von Werni Duss schauen.
Foto: Werni Duss
Aber die Hitze setzt mir wirklich zu. Kein Appetit bzw. keine Lust zu trinken sind bei mir klare Zeichen für Erschöpfung. Doch diesem Impuls nachzugeben wäre bei den äußeren Bedingungen und der Streckenlänge tödlich. Deshalb zwinge ich mich die geplanten Mengen pünktlich in mich rein zu kippen. So schnell kann es vom Gourmetmodus zur Zwangsernährung umschlagen 😉 Da ich die Abstände zu meinen Kontrahenten nicht kenne, befürchte ich schon, dass mich die Spitze der Solofahrer bald überrundet.
Doch nach einiger Zeit kann ich an Punkten, an denen die Strecke sich kreuzt bzw. in einer Schleife verläuft, auch einen Blick auf den Erst- und Zweitplatzierten erhaschen. Die Gesichter sprechen eine deutliche Sprache. Auch den Eidgenossen scheint die Hitze zuzusetzen. Als ich nach knapp drei Stunden Renndauer erst Kevin Tanner und dann auch noch Florian Egger überholen kann, bin ich wie elektrisiert und muss mich abermals mit meinem Mantra daran erinnern, jetzt nicht übermütig zu werden.
Foto: Werni Duss
Doch auf die Hochphase folgen wieder zähe Stunden in der Nachmittagshitze, die auch am frühen Abend nicht spürbar nachlässt. Die Strecke führt jede Runde an einem Bauernhof vorbei, an dem der Nachwuchs unermüdlich nasse Schwämme an die Fahrer verteilt – eine echte Wohltat! Die Schwämme nehme ich dankend an und benetze mir damit Arme, Nacken und Gesicht, aber mein Körper wird trotzdem gefühlt immer wärmer und am frühen Abend habe ich langsam Angst, dass das nicht mehr lange gut geht. Zudem trinke ich mehr als geplant und da alle Getränke bereits vorbereitet in der Box stehen, ist die Kohlenhydratzufuhr dadurch höher als mir guttut. Mein Magen fängt langsam an zu rebellieren und einmal ist es sogar soweit, dass ich nur durch tiefes Einatmen verhindern kann, dass sich die ganze Soße ihren Weg zurück durch den Hals bahnt. Um gegenzusteuern verlängere ich die Ensureintervalle und strecke eine Packung ab diesem Zeitpunkt auf 75-90min.
Außerdem investiere ich ein paar Minuten und springe kurzentschlossen in einen kleinen Bach, der parallel zur Rennstrecke verläuft. Eine echte Wohltat sich abzukühlen und auch den Staub der Strecke abzuwaschen, auch wenn ich die Böschung aus dem Bachbett zurück zur Strecke kaum wieder hochkomme 😉
Die Nacht
Bei Einbruch der Dämmerung muss ich einen kurzen Zwangsstopp an meinem Zelt einlegen, um die Lupine-Beleuchtung am Fahrrad zu montieren. Dabei bietet mir das benachbarte Team Ökofen Unterstützung mit gekühlten Getränken an, auf die ich nur zu gerne zurückkomme. Während der Nacht und auch am nächsten Tag setze ich alle paar Stunden eine Flasche Iso aus und stecke stattdessen eine gekühlte Cola in meinen Flaschenhalter. Danke Männer für euren spontanen Support – tiptop!
Mit der Dunkelheit wird es endlich auch kühler und ich kann die eingeschlagene Pace relativ problemlos halten. Dabei laufen die 5km Runden immer nach dem gleichen Schema ab. Das kurze flache Asphalt- und Schotterstück im Start-/Zielbereich wird für einen großen Schluck aus der Flasche genutzt.
Foto: Werni Duss
Danach geht es in einen steil bergauf führenden Trail mit tückischer Spitzkehre, der mit nachlassender Konzentration immer mehr zur Herausforderung wird. Um nicht vom Rad zu kippen, muss ich hier jede Runde kurz an die anaerobe Schwelle. Lautsprecher in den Bäumen beschallen die Fahrer bei dieser Herausforderung mit rockigem Soundtrack und am Ende des Trails steht bis spät in die Nacht ein Spalier aus Zuschauern, die die Fahrer unermüdlich anfeuern und motivieren nicht nachzulassen – Danke! Schnell noch einen Schluck aus der Flasche, bevor es auf einer abgesteckten Links-/Rechts-/Links-Kombination eine steile und ruppige Wiesenabfahrt hinuntergeht. Jetzt folgt wieder ein kurzes flaches Asphaltstück, das ich alle paar Runden zum Verzehr eines Ensure oder alternativ nochmals zum Trinken nutze, bevor eine längere wellige Schleife aus grobem und feinem Schotter folgt, bei der Windschattenfahren ein echter Vorteil ist. Nach dem Wiesendownhill gilt es also immer abzuschätzen, ob gleich von hinten eine zügige Gruppe mit Teamfahrern kommt, oder es besser ist kurz Vollgas zu geben, um zu Fahrern vor mir aufzuschließen. Meistens gelingt mir eine der Varianten und ich muss die Schleife nur selten alleine fahren. Die Schicksalsgemeinschaft löst sich am Ende der Schleife, wenn die Teamfahrer den folgenden steilen Asphaltanstieg hochdrücken, während ich meine Kräfte einteilen und Geschwindigkeit rausnehmen muss. Zeitweise steht in diesem Abschnitt sogar ein Alphornbläser und sorgt für stimmungsvolle Beschallung in den Abend- und Morgenstunden – einfach top! Dann folgt etwas Schotter, bevor das Highlight der Runde ansteht. Auf einem schmalen Trail geht es mit zunehmender Geschwindigkeit wie auf einer Achterbahn durch drei Kompressionen. Wenn die Bahn frei ist, kann ich das Vergnügen fast ungebremst genießen. Hier ist es ein echter Vorteil, dass ich diese Schlüsselstelle bereits vor Einbruch der Dunkelheit zig Mal passiert habe, und der Verlauf quasi im Schlaf abgerufen werden kann. Der Trail spuckt mich auf einer unebenen Wiese wieder aus und ich wünsche mir jede Runde, dass ich statt einem Hardtail ein Fully unter dem Hintern hätte. So muss ich fast die gesamte folgende Wiesensektion inklusive schnellem Downhill im Stehen fahren, um keinem Bandscheibenvorfall zum Opfer zu fallen. Nach einer kurzen Schikane geht es auch schon wieder in den Start-/Zielbereich und der Spaß beginnt von Neuem.
So geht es Runde um Runde, bis die Sonne wieder aufgeht und die Temperaturen wieder steigen.
Schlussphase
Im Lauf der Nacht ist es mir gelungen, meinen Vorsprung auf den Zweitplatzierten auf 4 Runden zu erhöhen und das beruhigende Gefühl stellt sich ein, dass dieser Puffer selbst für einen Defekt am Material ausreichen sollte. Aber die letzten Stunden sind trotzdem nochmals richtig zäh und mein Mantra bewahrheitet sich…hinten wird die Ente fett. Ich hangle mich mental von Zeitmarke zu Zeitmarke. Dreiviertel geschafft, Fünfsechstel geschafft, Siebenachtel geschafft, …, an Zeit zum Bruchrechnen mangelt es nicht auf der Strecke 😉 Die Belastungsdauer fordert langsam ihren Tribut. Sitzen auf dem Sattel geht noch gut. Der Tune „Komm-Vor“ macht seinem Namen alle Ehre. Aber die ruppigen Wiesenabfahrten mit den immer größer werdenden Bremswellen, werden für die Hände zunehmend zur Qual. Das größte Problem wird völlig unerwartet aber der Daumen der rechten Hand. So sehr ich das knackige Schaltverhalten meiner SRAM Eagle auch schätze, so sehr scheint es meinem Daumen zuzusetzen. Auf den letzten Runden gelingt es mir kaum noch aus den schweren wieder in die leichten Gänge zu wechseln. Bisher waren elektrische Schaltungen für mich mehr Spielerei als echter Mehrwert, aber auf der Langstrecke könnten die niedrigen Bedienkräfte ein entscheidendes Argument für den elektronenunterstützen Gangwechsel sein. Auch wenn ein Investitionsantrag dafür wohl wenig Erfolgschancen bei meiner Finanzministerin zu Hause hätte 😉
Vielleicht sollte ich aber auch einfach die ein oder andere Trainingseinheit auf der Rolle durch Fahrten im Gelände substituieren. Das würde zum einen die Hände an das Gerüttel gewöhnen, zum anderen aber auch den Daumen ans Schalten – eine Kompetenz, die auf dem Smart Trainer im Erg-Mode abhanden kommt. Da die Temperaturen wieder unerbittlich die 30°-Marke überschreiten, nehme ich nochmals ein kurzes Bad im Bach zur Abkühlung und fange an die noch zu fahrenden Runden rückwärts zu zählen.
In der letzten Runde wartet auf mich noch ein besonderes Highlight. Die schnellsten Fahrer jeder Kategorie werden durch ein Führungsmotorrad begleitet. Und so darf ich die letzte Runde als Führender der Solokategorie mit „Begleitschutz“ absolvieren. Ein super Feeling. Die Zuschauer geben nochmal alles und jubeln den Fahrern auf der letzten Runde zu – Gänsehautstimmung pur! Bei der Zieleinfahrt realisiere ich, dass es vollbracht ist. Der Streckensprecher begrüßt mich im Ziel mit einer Ansage und ich bin überglücklich. Die Anstrengungen der letzten 24 Stunden sind auf einmal wie weggeblasen und mein Körper feiert den Sieg mit dem Feinsten was die körpereigene Drogenküche an Endorphinen und Dopamin hergibt 🙂
Foto: Yvonne Najer
Ich bin überwältigt von den vielen Teilnehmern und Zuschauern, die mir gratulieren. Die Schötzer wissen einfach, wie man im Ziel richtig gute Stimmung macht! Nach einer kurzen Dusche geht es auch gleich weiter zur Siegerehrung und auch die Energiespeicher müssen im Festzelt natürlich wieder nachgeladen werden.
Von links nach rechts: Kevin Tanner, Jochen Böhringer, Florian Egger
Nachdem der Trubel nachlässt merke ich langsam, dass eine Nacht ohne Schlaf und 24 Stunden dauerstrampeln ihre Spuren hinterlassen und tiefe Müdigkeit macht sich breit. Der Organisator lässt mich dankenswerterweise noch eine weitere Nacht mit meinem Zelt auf der Veranstaltungswiese kampieren, so dass ich am kommenden Morgen ausgeschlafen den Heimweg antreten kann.
Rückblickend nochmal vielen herzlichen Dank an die ganzen Helferinnen und Helfer, die solch eine Veranstaltung erst möglich machen. Es war ein super Event, mit top Stimmung, anspruchsvoller Strecke, genialen Zuschauern und – wenn ich den Sound aus dem Festzelt bis in die frühen Morgenstunden richtig interpretiert habe – einer legendären Party für all jene, die nicht auf dem Rad sitzen durften. Ich komme gerne wieder!
P.S.: für die Statistiker unter euch:
184 Watt Normalized Power (entspricht 2,97W/kg) und 13.500kCal sind es über die 24h gewesen:
Die Heimreise am Sonntag ist geschafft und der erste Tag der körperlichen Regeneration im Büro ist auch Geschichte. Zeit für einen Rennbericht zu meiner ersten Teilnahme bei der Salzkammergut Trophy. Schon seit Jahren stand dieses Event auf meiner Wunschliste. Wirbt der Veranstalter doch damit, dass er mit der 210,2km langen und 7.119 Höhenmetern zählenden Strecke, Europas härtesten MTB Marathon im Programm hat. Wer kann da schon widerstehen. Und dieses Jahr sollte es endlich auch für mich soweit sein. Und so nahm ich die Salzkammergut Trophy (SKGT) bereits zu Jahresbeginn in meine Saisonplanung mit auf. Ich hatte schon viel von diesem Event gehört. Zum einen von der tollen Landschaft, zum anderen von der anspruchsvollen Strecke und top Organisation.
Einziges Handycap wurde meine kurzfristige Teilnahme beim Race Across Germany (RAG). Nur knapp zwei Wochen Rennpause zwischen RAG und SKGT waren riskant und ein kurzfristiges Absagen der SKGT nicht unwahrscheinlich. Riskant deshalb, da sich die vollständige körperliche Regeneration nach einer Ultracycling Belastung wie dem RAG durchaus über mehrere Wochen hinziehen kann. Auf jeden Fall war es eine gute Motivation, um nach dem RAG möglichst schnell wieder in den Sattel zu kommen 😉
Und das Gefühl auf dem Rad war eigentlich wieder ganz gut. Einziges Manko war mein linkes Knie, das mir den RAG-Dauereinsatz noch nicht ganz verziehen hatte und noch etwas Voltaren-Zuwendung forderte. Aber auch das war nach zwei Wochen schon fast wieder komplett in Ordnung.
Und so bin ich am Freitag gemeinsam mit Joachim Oberföll nach Bad Goisern (Österreich) aufgebrochen, um mich der nächsten Herausforderung zu stellen. Untergekommen waren wir nur 300 Meter entfernt vom Start in einer „8er WG“ mit 6 weiteren Teilnehmern, die uns und unsere Bikes dankenswerterweise kurzfristig aufgenommen haben. Danke an dieser Stelle nochmal an Lukas Kaufmann (http://kaufmannlukas94.blogspot.com/) für das Asyl.
8er WG mit zwei 4er Zimmern als perfekte Voraussetzung für erholsamen Schlaf 😉
Der Freitagnachmittag war mit Anmeldeunterlagen holen, Fahrrad und Ausrüstung richten und einem letzten Pasta-Carboloading auch schnell vorbei und jeder hat versucht noch eine Mütze Schlaf zu bekommen, bevor morgens um 03:00Uhr die Wecker klingelten und um 05:00Uhr im Morgengrauen der Startschuss für die Langdistanz fiel.
Endlich geht es los und das Zittern im Startblock hat ein Ende. Da es mit ca. 10° noch sehr kalt ist, bin ich heilfroh, dass es nach ein paar flachen Metern gleich zum Aufwärmen in den ersten langen Anstieg geht.
Ich reihe mich irgendwo bei den ersten 70-100 Teilnehmern in den Bandwurm ein, der sich Biker an Biker den Berg hinaufschiebt. Meine Beine fühlen sich gut an und ich achte streng auf meinen Powermeter, um nicht gleich am ersten Anstieg wichtige Körner für den restlichen Tag zu verschießen.
Die Sonne geht langsam auf und verschafft uns traumhafte Aussichten auf die umliegenden Gipfel.
Und schon kommt das erste Highlight der Strecke: die Ewige Wand mit ihrem sagenhaften Panorama, das man nur durch Drahtseile vom tiefen Abgrund getrennt, genießen kann.
Die nächsten Stunden laufen ziemlich unspektakulär. Ich nehme regelmäßig an den Verpflegungsstellen frische Isoflaschen, genieße die technisch anspruchsvollen Downhillpassagen, ernähre mich von den Gels, die ich im Trikot selbst mitgebracht habe, und achte darauf nicht zu überziehen – der Tag ist ja noch lang. Um mich herum habe ich immer Gesellschaft anderer Fahrer der A-Distanz und es kommt sogar der ein oder andere kurze Plausch zustande.
Als wir nach einer längeren Runde das zweite Mal an die Ewige Wand kommen, stoßen schnelle Fahrer der B-Distanz zu uns, die später gestartet sind, und diesen Teil der Strecke nur einmal fahren. Ich meine mich zu erinnern, dass nach der nächsten langen Abfahrt eine lange flache Überführungspassage mit ca. 20km rund um den See ansteht. Deshalb hefte ich mich in der Abfahrt an die schnellen B-Fahrer, um auf der kommenden Flachpassage von ihrem Windschatten zu profitieren. In der technischen Abfahrt muss ich hierzu alles geben, da die Jungs auf Fullys und ich nur mit Hardtail unterwegs bin.
Voll am Anschlag geht es die ersten flachen Meter nach Bad Goisern zurück, bevor die Umrundung des Sees ansteht. Ich bin euphorisch, dass ich eine top Gruppe mit B-Fahrern erwischt habe. Was ein Schreck, als sich die Strecke ein paar Meter später aufteilt. Die B-Fahrer dürfen direkt an den See und die A-Fahrer dürfen noch einen „kleinen“ Schlenker mit etlichen hundert Höhenmetern einschieben. Ich bin allein auf weiter Flur – die B-Fahrer alle abgebogen und die ähnlich starken Fahrer der A-Distanz Minuten hinter mir. Ich nehme etwas Druck raus und hoffe, dass meine vorherige Gruppe der A-Fahrer schnell zu mir aufschließt. Als ich selbst am nächsten längeren Schotteranstieg hinter mir niemanden sehe, finde ich mich damit ab längere Zeit alleine unterwegs zu sein, und gebe wieder Schub.
Um den See herum muss ich als Konsequenz daraus leider komplett alleine im Wind fahren. Es sind zwar auch wieder viele B-Fahrer auf der Strecke. Aber die schnellen sind alle schon enteilt und es findet sich leider keine Gruppe, die annähernd ein passendes Tempo für mich fährt. Am See habe ich auch das erste Mal mit meiner Verpflegung zu kämpfen. Meine Trinkflaschen sind beide leer und die nächste Verpflegung ist erst am Ende des Sees in Aussicht. Auf die nächste Gruppe B-Fahrer, die ich überhole, lasse ich einen Hilfeschrei nach Wasser los. Und tatsächlich…eine Fahrerin erbarmt sich meiner und gibt mir ein paar Schlucke aus ihrer Flasche ab. Das gleiche Spiel wiederholt sich noch ein weiteres Mal erfolgreich während der langen Flachpassage. Ich bedanke mich beide Male überglücklich, bin beeindruckt von der Hilfsbereitschaft und flitze weiter.
So langsam gehen auch die Gels in meiner Trikottasche zur Neige, so dass ich bei der nächsten Verpflegungsstation neben einer vollen Isoflasche auch Ausschau nach Gels halte. Die Verpflegungsstationen sind wirklich reichhaltig bestückt und es gibt alles, was das Tourenfahrerherz begehrt (Kuchen, Obst, Käse, Wurst, …). Ich überlege kurz statt Gel auf ein deftiges Vesper umzusteigen. In diesem Moment sagt der Moderator aber meine aktuelle Platzierung durch und ich bin wie elektrisiert. Platz 26 hätte ich bei diesem starken Fahrerfeld nie für möglich gehalten. Jegliche Überlegungen zu längeren Pausen an den Verpflegungsstationen schiebe ich beiseite und ich bin vom Gedanken besessen die Platzierung ins Ziel zu retten, schnappe mir nur schnell eine Banane für die Trikottasche und hoffe auf Gels an den noch folgenden Verpflegungsstellen. Um es vorwegzunehmen: meine Hoffnung wird enttäuscht. Ich bleibe die restliche Fahrt bei Bananen und so viel Kuchen, wie man beim Aufnehmen einer neuen Isoflasche mit der Hand in einem Rutsch in den Mund stopfen kann 😉
Ein paar Kilometer nach der Verpflegung beginnt der berühmt berüchtigte Anstieg zum Salzberg. In steilen Serpentinen geht es Meter um Meter im Pulk der B-Fahrer bergauf und der Schweiß fließt mir in der Mittagshitze von bis zu 33° in Strömen über den ganzen Körper.
Nach den Serpentinen keimt kurz die Hoffnung in mir auf das schlimmste geschafft zu haben. Doch in der Mittagssonne tauchen direkt vor mir die wirklich steilen Rampen des Tages auf, die sich den Fahrern mit bis zu 20-30% Steigung in den Weg stellen. Ich habe zwar extra ein 32er Kettenblatt für meine SRAM Eagle montiert, aber an der steilsten Stelle muss ich bei Trittfrequenzen unter 40 Umdrehungen pro Minute trotzdem einsehen, dass Schieben schneller und kraftsparender geht als Fahren, und steige demütig vom Rad.
Die nächsten zwei Schotteranstiege danach werden nochmals richtig hart. Ich bin schon seit über 8 Stunden unterwegs und die vielen Höhenmeter fordern ihren Tribut. Beim Blick auf die Wattzahlen sehe ich, dass ich nur noch im unteren G2-Bereich unterwegs bin und rechne jederzeit damit, dass mich reihenweise andere Fahrer wieder überholen. Doch scheinbar geht es den anderen jetzt auch nicht mehr besser als mir. Ich werde zwar die letzten 2-3 Stunden noch von zwei Fahrern überholt, kann aber meinerseits auch noch ein paar Plätze gut machen und schiebe mich somit vom 26. auf den 22. Platz vor.
Platzierung und Zwischenzeiten – ich kann mich kontinuierlich nach vorne arbeiten
Besonders freut es mich als Stefan Schubert, ein direkter Konkurrent auf der A-Strecke, meine verzweifelte Suche nach Gels an einer der letzten Verpflegungsstellen mitbekommt und mir daraufhin ein Gel aus seinem persönlichen Vorrat schenkt. Ganz große sportliche Geste Stefan. Vielen Dank nochmal dafür!!
Die letzte knappe Stunde geht es dann von kleineren Anstiegen ausgenommen fast nur noch bergab oder eben bis ins Ziel. Das Ziel vor Augen kann ich meinem Körper zumindest noch die Durchschnittsleistung der letzten Stunden weiter abwringen und komme nach 11 Stunden und 17 Minuten völlig erschöpft, aber überglücklich über den tollen Rennverlauf im Ziel an.
Zieleinlauf
Von Platz 22 gesamt und elftem Platz in meiner Altersklasse (Ü30) hätte ich bei den über 700 internationalen Teilnehmern auf der Langstrecke niemals zu träumen gewagt. Im Ziel genieße ich die reichhaltige Zielverpflegung und nutze endlich auch das Angebot an Wurst und Käse, das ich an den Verpflegungsstationen aus Zeitmangel und im Hinblick auf eine möglichst gute Platzierung ausgeschlagen hatte (aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben) 😉
Finisherfoto
Mein Centurion Backfire Carbon Team hat mich wieder einmal nicht enttäuscht. Kein einziger Defekt am Rad auf der langen und anspruchsvollen Strecke. Und auch Tune hat wieder einmal bewiesen, dass leicht nicht unbequem sein muss. Auf dem Tune Carbon Sattel „Komm Vor“ hätte ich auch noch einige Kilometer länger ausgehalten 🙂
Racefeile – ohne einen einzigen Defekt, aber von den Strapazen gezeichnet
Den Abend lasse ich gemeinsam mit Jo bei einem leckeren Steak, jeder Menge Eis und einer Massage ausklingen, bevor wir am Sonntagmorgen wieder den Weg nach Hause antreten.
Einen riesen Dank auch noch an meinen Schatz Sandra, dass sie so kurz nach dem RAG nochmal beide Augen zugedrückt hat, und mich schon wieder ein Wochenende hat ziehen lassen!
Jetzt ist erst einmal drei Wochen auf sportlicher Ebene Regeneration und Training angesagt, bevor mit den 24h von Schötz das letzte große Saisonhighlight auf mich wartet.