Viele von euch haben mitbekommen, dass die vergangenen Wochen bei mir nicht wie geplant verlaufen sind und mein Berufs- und Privatleben, aber auch meine weiteren sportlichen Ambitionen und Pläne für dieses Jahr, ziemlich durcheinandergewirbelt wurden. Im Familienurlaub in den Pfingstferien bin ich im Bikepark in Tschechien so unglücklich gestürzt, dass ich mir Frakturen an einem Halswirbel und vier Brustwirbeln zugezogen habe. Eine Operation und mehrere Wochen in hauptsächlich liegender Position später, kann ich rückblickend sagen, dass ich ganz schön Glück im Unglück hatte. Denn es hätte noch viel schlimmer kommen können und ich bin dankbar, dass die weitere Heilungsprognose positiv ist und es zu keinen Lähmungserscheinungen kam.
Lowlight 2022 – OP wegen Frakturen an 5 Wirbeln
Trotzdem zieht einen die Situation immer wieder ganz schön runter. Und so habe ich auch in alten Fotos geblättert, um positive Gedanken zu aktivieren. Und was soll ich sagen…es funktioniert 🙂
Dabei bin ich auch immer wieder beim Italy Divide kurz nach Ostern hängen geblieben und habe auch einige Fotos mit kurzen Untertiteln für meinen Blog versehen.
Kurz zusammengefasst handelt es sich dabei um ein self-supported Bikepacking Abenteuer, bei dem ca. 1.300km und 20.000 Höhenmeter auf einer Strecke von Pompeji (bei Neapel) bis nach Torbole (am nördlichen Gardasee) zu bewältigen sind. Die Strecke hält dabei von Asphaltabschnitten über Schotter- oder Kopfsteinpflasterpisten bis zu ausgewachsenen Mountainbiketrails alles bereit. Doch alles weitere in Bildern.
Vor dem Start
In Pompeji darf am Vorabend die klassische Pizzaparty mit den anderen Teilnehmern natürlich nicht fehlen.
Erst- und Wiederholungstäter tauschen sich zu Freud und Leid im Ultracycling aus.
Bestes Wetter vor dem Start…
…ein paar letzte Selfies…
…letzte Instruktionen von Giacomo – dem Veranstalter…
…und endlich geht es los!
Tag 1 – heiß, heißer am heißesten
Von Pompeji geht es die ersten Kilometer neutralisiert durch die Stadt.
Am Fuß des Vesuv zieht das Tempo dann deutlich an und einige Teilnehmer fahren mit einem Tempo an mir vorbei…
…als wäre das Rennen nur 100km lang.
Nach dem Vesuv hat sich das Feld schon sehr in die Länge gezogen und ich treffe nur noch vereinzelt auf andere Teilnehmer.
Unter anderem auf einen der Favoriten – Marin de Saint-Exupéry – der am vorletzten Tag leider wegen Knieproblemen aufgeben muss.
So geht es – immer wieder mit schönen Meerblicken, aber leider zum größten Teil auf Asphalt…
… der Abendsonne entgegen.
Tag 2– I’m singing in the rain
Die erste Nacht fahren soweit ich das überblicke alle Fahrer in der Top 5 einschließlich mir ohne Schlafpause durch. In der Nacht kann ich mich vor allem durch Ausreizen meines ORBEA Oiz Fullys in den langen und teils technischen Abfahrten an die Spitze des Feldes vorarbeiten und erreiche bei Regen in den frühen Morgenstunden Rom. Vom restlichen Tag gibt es keine weiteren Fotos, da am Nachmittag irgendwann das Wetter kippt und aus schwachem Regen irgendwann Starkregen wird, der gar kein Ende mehr nehmen will.
Unterkühlt und völlig durchnässt entschließe ich mich am frühen Abend – und mittlerweile wieder hinter Štěpán und Alex auf Platz 3 liegend – in irgendeinem Bergdorf nach einer Unterkunft zu fragen. Und so treffe ich in einem rudimentären Hostel auf Alex (der zu diesem Zeitpunkt auf Platz 2 ist) und schlafe dort für zwei Stunden, um mich und meine Ausrüstung aufzuwärmen und etwas zu trocknen. Irgendwann vor Mitternacht brechen Alex und ich dann „frisch erholt“ auf in die zweite Nacht.
Tag 3– auf und nieder immer wieder
Das Wetter ist im weiteren Verlauf der Nacht gnädig und von einzelnen Schauern abgesehen wird es zunehmend trocken. Die Morgensonne taucht die Landschaft kurz vor Siena in wunderschönes Licht.
Aufgrund der langen Schlafpause von Alex und mir hat sich das Klassement in der Nacht noch etwas verändert – sind 2 Stunden Schlaf in 2 Tagen wirklich lang? ;-). Štěpán Stránský hat sich an der Spitze deutlich abgesetzt. Marin de Saint-Exupéry ist auf Platz 2 vorgefahren und Alex und ich liegen nahe beieinander auf 3 und 4.
In Siena gönne ich mir erst einmal ein leckeres Frühstück, kümmere mich um Epidermispflege im Bereich der Sonneneinstrahlung bzw. Sattelkontaktpunkte und fülle auch meine Taschen mit allerlei hochkalorischem Nachschub – das Bild zeigt nur den ersten Gang 😉 Frisch gestärkt, kann ich mich kurz nach Siena sogar auf Platz 2 vorschieben.
Den restlichen Tag geht es – typisch Toskana – stetig auf und ab. Die Top 3 hat sich zu diesem Zeitpunkt ziemlich gefestigt. Štěpán Stránský und Marin de Saint-Exupéry liefern sich unangefochten ein Rennen an der Spitze und ich gönne mir etwas abgeschlagen erst einmal ein Eis in Florenz. Alex hat leider Probleme mit seinem Schalthebel und muss den Kampf um die vorderen Platzierungen erst einmal hintenanstellen.
Die Route führt in stetigem auf und ab entlang unzähliger Highlights der Toskana…
…und das Wetter zeigt sich von seiner besseren Seite.
Die heftigen Regenfälle der letzten Nacht machen das Vorankommen aber auf etlichen Teilen der Strecke zu einem echten Kampf gegen den Matsch des Todes, der alles befällt…Reifen, Antriebsstrang, Rahmen und auch die Schuhe. Und es passiert nicht nur einmal, dass ich im Schlick die Kontrolle verliere und auch der restliche Körper Bodenproben nimmt.
Tag 4- von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt
Die kommende Nacht wird eine echte Challenge und ich spiele mehrfach mit dem Gedanken den Bettel hinzuschmeißen. Vor allem als ich mitten in der Nacht an eine Flussquerung komme, bei der die Brücke fehlt und ich mir bei der Suche nach einem alternativen Weg durch die Matschwiese auch noch einen Ast in den Mantel ramme sinkt die Stimmung auf den Tiefpunkt.
Zum Glück finde ich nach großem Zeitverlust endlich einen Weg über eine Eisenbahnbrücke. Im Ziel erfahre ich, dass andere Fahrer einfach durch den hüfttiefen Fluss gewatet sind. Das habe ich mich aber alleine mitten in der Nacht bei starker Strömung, ohne die Tiefe einschätzen zu können, einfach nicht getraut.
Der Schlafmangel und die Kälte setzen mir zusätzlich zu. Die Stimmung wird aber schlagartig besser als ich in einem kleinen Dorf vor Bologna um 4:45Uhr morgens auf ein offenes Café mit frischem Gebäck und heißer Schokolade treffe. Und als ich feststelle, dass der Löffel in der heißen Schokolade senkrecht stehen bleibt, bestelle ich gleich noch eine zweite hinterher – cioccolata calda at its best 🙂
In Bologna angekommen hat sich Marin auf Platz 1 vorgearbeitet. Štěpán liegt auf Platz 2 und ich folge mit großem Abstand auf Platz 3. Die topfebene Poebene liegt vor mir und ich fokussiere mich auf „Schadensbegrenzung“, um nicht noch vom viertplatzierten Franzosen Steven Le Hyaric eingeholt zu werden.
In Bologna habe ich noch etwas Zeit, bis die Bikeshops öffnen, bei denen ich mich auf die Suche nach einem Ladegerät für meine SRAM AXS Akkus machen möchte. Die Zeit nutze ich, um das Bike, meine Beine/Schuhe und mein restliches Equipment in einem Carwash mit dem Dampfstrahler von seiner Schlamm-Patina zu befreien. Mit frisch geölter Kette und aufgefüllten Verpflegungsvorräten…
…starte ich frisch motiviert in die Poebene. Diese ist zwar fahrtechnisch überhaupt nicht anspruchsvoll. Aber mental unheimlich anstrengend, da es über fast 200 Kilometer fast nur eben dahin geht. Und das zum größten Teil an diversen Kanälen und Flüssen entlang auf parallel geführten Dämmen, die weder Schutz vor Wind noch Schatten bieten.
Da ist das Ostello dei Concari ein echtes Highlight auf der Strecke. Der Besitzer Nicola Stabili ist ein großer Fan des Rennens und empfängt alle Fahrer mit einer einmaligen Herzlichkeit und einer gut gefüllten Eistruhe.
In der Zwischenzeit habe ich erfahren, dass Marin – in Führung liegend – das Rennen wegen starker Knieschmerzen leider aufgeben musste. Und auch Štěpán Stránský kann sein hohes Tempo nicht mehr uneingeschränkt durchhalten. Und so passiert das, was ich am wenigsten erwartet hätte. Ich kann in der Poebene den Abstand auf Platz 1 deutlich reduzieren und den Gashahn nochmal richtig aufdrehen.
Und so erreiche ich Verona auf Platz 2 liegend nur etwa 30 Minuten hinter Štěpán. Die Konkurrenz in greifbarer Nähe, mache ich mir einen genauen Plan, was ich alles noch an Verpflegung bis ins Ziel für die letzte Nacht benötigen werde und in Verona angekommen…
…plündere ich im Expresstempo ein Bistro. Diverse Wasserflachen, Panini und Schokoriegel schwerer geht es in die letzte Nacht.
Tag 5 – Endspurt und Finish
Gefühlt ist es gar nicht mehr so weit ins Ziel. Aber ca. 4.000hm und die zwei längsten Steigungen mit Gipfeln des Monte Baldo Massivs bis auf knapp unter 2.000m liegen noch vor mir. Ich fahre mit allem was die müden Knochen noch hergeben in den Anstieg hinter Verona. Und das unglaubliche passiert…
…ich kann mitten in der Nacht zu Štěpán an die Spitze aufschließen. Dieser gibt sich nicht kampflos geschlagen. Und so gibt es noch einige Führungswechsel, bevor ich ihn kurz vor dem Rifugio Monte Tomba distanzieren kann. Die Temperaturen sind mittlerweile auf den Gefrierpunkt abgesunken und eisiges Reif zieht sich über die Bergwiesen.
Um in den Abfahrten im Fahrtwind nicht zu erfrieren opfere ich meinen Rettungssack und schneide Löcher für Arme und Kopf hinein. So überstehe ich die vorletzte Abfahrt. Als das Adrenalin der Verfolgungsjagd mit Štěpán nachlässt und der Puls in der Abfahrt sinkt, macht sich nochmals bleierne Müdigkeit breit…
und ich lege nochmal zwei kurze Powernaps von 5 und 10 Minuten direkt am Wegesrand ein. Diese eingerechnet komme ich im gesamten Rennen auf ca. 4 Stunden Schlaf.
Das Ziel vor Augen fahre ich im Morgengrauen in den letzten langen Anstieg.
Es ist zwar noch sehr frisch, aber die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Berglandschaft wieder in atmosphärisches Licht. Die Übergänge zwischen Tag und Nacht sind im Ultracycling meist die beeindruckendsten und zaubern mir regelmäßig eine Gänsehaut auf den Pelz.
Irgendwann ist auch der letzte Gipfel geschafft und das Online-Live-Tracking zeigt mir, dass die Verfolger – Štěpán eingeschlossen – alle nochmals längere Pausen einlegen mussten. Und so kann ich die letzte Abfahrt ins Ziel hinunter an den Gardasee nach Torbole ohne jedes Risiko und Zeitdruck absolvieren – von Genuss kann zu dieser Zeit nicht mehr wirklich gesprochen werden.
Im Ziel angekommen genieße ich die Endorphin-Dusche. Und feiere mein Finish gemeinsam mit dem Veranstalter Giacomo Bianchi und seiner Supportcrew.
Doch irgendwann lässt auch die beste Endorphinausschüttung nach und so gebe ich mich meiner Müdigkeit hin und verbringe die nächsten 2 Stunden auf dem Plattenboden inmitten der Touristen im Zielbereich – schlafend neben meinem Bike 🙂
Recovery – all you can eat
Zum Glück kann ich im Hotel schon um die Mittagszeit einchecken und nach einer ausgiebigen Dusche startet meine Lieblingsdisziplin im Ultracycling Duathlon…
…und dafür gibt es eigentlich keinen besseren Ort als Italien mit Pizza…
…Eis…
und jeder Menge Pasta.
Das Beste ist aber das get together mit den anderen Finishern, die im Laufe der nächsten Stunden und Tage eintrudeln.
Jeder hat viel zu erzählen und das Abenteuer auf seine ganz individuelle Weise erlebt.
Und so endet für mich das Italy Divide in toller Gemeinschaft und um einige Tiramisu schwerer. Vielen Dank an Giacomo und seine Crew für das tolle Event und ihr Engagement!!
Hi Jochen. Bin grade über Deinen Bericht gestolpert und war echt geschockt, als ich die Spitalbilder sah. Ich wünsche Dir gute Genesung und das Du bald wieder in die Pedale treten darfst. Dir und Deiner Familie alles Gute und hoffentlich bis bald mal wieder an der Navad1000.
Hi Jochen. Bin grade über Deinen Bericht gestolpert und war echt geschockt, als ich die Spitalbilder sah. Ich wünsche Dir gute Genesung und das Du bald wieder in die Pedale treten darfst. Dir und Deiner Familie alles Gute und hoffentlich bis bald mal wieder an der Navad1000.
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Danke dir!! Es geht zum Glück Stück für Stück besser und ich gehe davon aus, dass ich irgendwann im September auch wieder Outdoor aufs Rad komme:)
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