24h Alfsee – Highway to Hell

Das 24h MTB-Rennen am Alfsee liegt schon wieder eine Woche zurück. Zeit für eine Rückschau auf ein fulminantes Wochenende, das mir mit über 440km auf anspruchsvollem Kurs einiges abverlangt hat. Damit ich die Lust an solchen Wochenenden nicht verliere, hat es sich vorsichtshalber mit einem zweiten Platz bei den Solostartern revanchiert. Yippiehhhh 🙂

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Podium Solostarter v.r.n.l: Kai Saaler – Platz 1, Helmut Wolf – Platz 3, Jochen Böhringer – Platz 2

Im folgenden Bericht möchte ich euch auf meinen Wochenendtrip mit all seinen Höhen und Tiefen mitnehmen…

Vorbereitung

Bereits zum Saisonbeginn ist für mich klar, dass ich neben meinem Saisonhöhepunkt dem Navad 1000 auch noch das ein oder andere 24h-Rennen fahren möchte. Terminlich sieht es damit aber alles andere als rosig aus, da die meisten 24h-Veranstalter ihre Events in die Sommerferien gelegt haben und wir diese im Wohnmobil in den USA verbringen werden. Die 24h vom Alfsee sind eine rühmliche Ausnahme, denn der Veranstalter hat das hochkarätig besetzte Rennen, das auch Teil des BDR Deutschland Cups ist, für den 11. Mai im Kalender verankert. Also nichts wie angemeldet!

Die Vorbereitung läuft im Frühjahr gut und auch die ersten Formtests beim #Riding4Europe und dem ALB-Gold Frühjahrsmarathon laufen sehr vielversprechend. Eine Woche vor dem Alfsee möchte ich mir noch etwas Rennhärte und den letzten Feinschliff beim Bike the Rock in Heubach holen. Meine bisherige Vorstellung zum Thema Rennhärte wird aber neu kalibriert, als mich meine Frau nach einigen Stunden Behandlung wegen starker Unterkühlung von der Intensivstation der nächstgelegenen Klinik abholen muss.

Zum Glück sind die einzigen körperlichen Nachwehen schmerzende Rippen, weil ich bereits halb erfroren kurz vor meiner Rennaufgabe unkontrolliert vom Trail in den Wald abgeboben bin.

Aber das Material beschert mir noch einige Nachtschichten, da das völlig verschlammte Rad ungeputzt beim Veranstalter übernachtet und nach der Abholung die Tage danach noch einiges an Zuwendung benötigt, um z.B. festgesessene Lager zu reinigen oder zu erneuern. Richtig in Stress bringt mich vor allem der nicht mehr funktionierende Gabel-Lockout, dessen Ersatzlager erst am Donnerstagvormittag per Post eintrifft.

So richtig entspannen kann ich mich erst am Freitagnachmittag, als die gesamte Familie im vollgestopften Wohnmobil auf dem Weg zum Alfsee sitzt.

Ab jetzt wird auch die Ernährung so langsam von fest auf flüssig umgestellt und es gibt ein letztes Mal vor dem Rennen Nahrung, die man theoretisch kauen kann. Die verbleibenden Malzeiten vor dem Start werden dann nur noch mit Ensure Flüssignahrung bestritten, um Toilettenpausen während dem Rennen möglichst zu vermeiden.

Als wir um 20:00Uhr auf dem Campingplatz eintreffen, können wir gerade noch einen Platz im Lager der Solostarter nahe an der Strecke ergattern und die Startunterlagen abholen. Dann geht es früh ins Bett, um noch etwas Schlaf zu bunkern.

Der kommende Morgen verläuft geschäftig aber ohne Hektik. Ich bereite meine Verpflegung/Kleidung/Beleuchtung/Werkzeug/Ersatzteile und das Bike für die gesamte Renndauer vor. Dankenswerterweise kann ich meine Verpflegungskisten bei Daniel und Sascha vom toMotion Racing Team mit an die Strecke stellen und Daniels Rennbetreuer Christoph hilft mir sogar dabei die Kisten an die Strecke zu tragen. Vielen Dank Jungs – einfach klasse!!

 Euphorie

Die Zeit vergeht wie im Flug. Und Schwupps ist es 14:00Uhr und die ersten Teams werden auf die Strecke geschickt. Beine und Kopf fühlen sich bei mir sehr gut an und ich bin heiß aufs Rennen. Die Rippen zwicken beim Warmfahren zwar noch, aber da spekuliere ich voll aufs Rennadrenalin und werden Recht behalten. Die kommenden Stunden wird mir zwar noch einiges weh tun – die Rippen gehören aber nicht dazu. Die melden sich erst danach wieder – ein 24h Rennen taugt also leider doch nicht als Rehabilitationsmaßnahme 😉

Bei den Einzelstartern stehen über 120 positiv Bekloppte am Start und als ich mich relativ weit vorne in den Startblock stelle und mich umsehe ist klar, dass hier einige gekommen sind, um mit um die vorderen Plätze zu fahren. Es ist mein erstes 24h Rennen in Deutschland und ich kenne die Szene noch nicht so gut. Aber Kai Saaler kenne ich bereits von den 12h in Diessen, wo er Europameister wurde und ich habe auch seinen prestigeträchtigen internationalen Sieg bei den 24h in Finale Ligure im Vorjahr verfolgt. Als meine Kinder mich am Morgen fragen, ob ich das Rennen gewinnen kann, verweise ich auf Kai und dass realistischer weise alles ab Platz 2 hinter Kai bereits ein riesen Erfolg für mich wäre.

Ich nehme mir also vor, mich zu Beginn des Rennens an seiner Pace zu orientieren und zu schauen, wie lange ich sein Tempo mitgehen kann. Der Startschuss knallt und Kai und ich gehen irgendwo zwischen Platz 10 und 15 in die ersten Singletrails. Mit gut Druck auf dem Pedal schiebt Kai sich Stück für Stück im Feld nach vorne und ich fahre mit. Der Wattmesser zeigt, dass das sicher kein Tempo fürs ganze Rennen ist, aber für die Startphase auf jeden Fall im grünen Bereich. Doch nach einigen Kilometern löst sich bei Kai die Sattelschraube und er muss kurz anhalten, um den Sattel wieder festzuschrauben. So bin ich plötzlich etwas „führungslos“. Da wir Einzelstarter in der Zwischenzeit auch auf die langsameren Teamfahrer aufgefahren sind dauert es noch ein paar Kilometer bis ich die Aufholjagd alleine bis an die Spitze der Solofahrer abgeschlossen habe und ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob sich vorne evtl. bereits jemand abgesetzt hat. Insofern behalte ich einfach weiter Druck auf dem Pedal und gebe Gas. Die technischeren Abschnitte des Kurses liegen mir und es macht frisch und erholt richtig Spaß die Trails in Angriff zu nehmen.

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So vergehen die ersten Runden. Sandra und die Kinder stehen an der Strecke und reichen mir jede zweite Runde eine neue Flasche und ein Ensure. Die Temperaturen sind mit ca. 13° auch ganz angenehm und das gesamte Feld aus Solostartern, 2er-, 4er-, 6er- und 8er-Teams mischt sich zusehends durch. Da es um den See an den langen Deichabschnitten starken Seiten- und Gegenwind gibt, versuche ich taktisch zu fahren und mich für diese Abschnitte an schnelle Teamfahrer zu hängen. Das klappt meistens auch ganz gut, führt aber auch dazu, dass ich auf den steilen Rampen und den holprigen Wiesentrails dazwischen immer wieder deutlich außerhalb der Komfortzone bin, um die schnellen Gruppen nicht zu verlieren. So kann ich bis zum Einbruch der Dunkelheit sehr gleichmäßig meine Runden ziehen und für mich völlig überraschend einen satten Vorsprung auf die restlichen Einzelfahrer herausfahren. Als es in die Nacht geht ist dieser zeitweise auf über 20 Minuten angewachsen und es macht sich regelrecht Euphorie bei mir breit…das Rennen zu gewinnen erscheint plötzlich doch realistisch! Meine Beine laufen trotz der vielen steilen Rampen noch richtig rund und ich halte nur kurz an, um Licht zu montieren, die Kette frisch zu ölen und mich für die Nacht wärmer anzuziehen.

Die Nacht

Das ist auch bitter nötig, denn sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, wechselt es von empfindlich kühl zu richtig kalt. Die Temperaturen fallen in den niedrigen einstelligen Bereich und in den frühen Morgenstunden friert bei 0° der Tau auf den Wiesen sogar zu Raureif. Trotz dicker Überschuhe und warmer Handschuhe werden Finger und Zehen bei dem eisigen Wind vor Kälte taub und der Spaß bekommt so langsam ein Loch.

Dass meine komplette Rennverpflegung in der Box an der Strecke den Temperaturverlauf eins zu eins nachvollzieht macht es auch nicht besser. Ständig Isogetränk und Ensure knapp über dem Gefrierpunkt in sich reinzuschütten führt auch nicht gerade dazu auf warme Gedanken zu kommen. Vor Mitternacht muss ich noch zwei kurze Zwangsstopps einlegen, da sich einmal der Akku meiner Lupine löst und ich plötzlich im Dunkeln auf dem Trail stehe und ein anderes Mal aus unerfindlichen Gründen auch die Batterie meiner Rückleuchte den Dienst einstellt und ich einen Abstecher zum Wohnmobil machen muss, um die Ersatzrückleuchte zu montieren.

Als die Sonne morgens wieder aufgeht bin ich heilfroh die Nacht verhältnismäßig gut überstanden zu haben und freue mich auf wärmere Temperaturen.

Wie groß mein Vorsprung ist weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich, aber eine spätere Analyse der Rundenzeiten zeigt, dass ich hier immer noch ca. 20 Minuten vor dem Zweitplatzierten liege. Also beste Voraussetzungen, um das Ding vollends nach Hause zu fahren 🙂

Wer hat den Stecker gezogen?

Die Temperaturen klettern langsam wieder nach oben und mit ihr sollten es eigentlich auch meine Lebensgeister tun. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es ist als hätte jemand den Stecker gezogen. Ich schaffe es kaum noch die steilen Rampen fahrend zu bewältigen und die ruppigen Wiesentrails werden immer mehr zur Qual. Statt diese halbwegs flüssig im Sitzen zu fahren bin ich darauf fast nur noch in abgehacktem Wiegetritt unterwegs. Es ist gar nicht so, dass eine einzelne Körperstelle besonders Probleme macht. Es ist einfach der ganze Bewegungsapparat ab der Hüfte aufwärts, dem es irgendwie zu viel des Guten wird. Jetzt kann ich die gutmeinten Ratschläge einiger anderer Fahrer am eigenen Leib nachvollziehen das Rennen statt mit einem Hardtail lieber vollgefedert anzugehen. Ist nur keine Option, wenn man gar kein Fully besitzt 😉 Besondere Freude bereitet mir eine längere Trail-Passage, die passenderweise mit einem Schild „Highway to Hell“ versehen ist. Die erste Rennhälfte konnte ich den Aufdruck beim schnellen Vorbeifahren gar nicht richtig entziffern. Aber da meine Normalized Power jetzt Runde für Runde weiter absinkt, kann ich das Schild jetzt leider im Vorbeifahren problemlos lesen. Ich klammere mich an meine Brevet-Erfahrung: egal wie schlecht es einem geht – einfach „locker“ weiterfahren…irgendwann geht es wie durch ein Wunder auch wieder aufwärts. Doch das Wunder bleibt dieses Mal leider aus. Meine Rundenzeiten werden immer länger während Kai am Vormittag nochmal richtig aufdrehen kann.

Und so kommt es wie es kommen muss. Knappe vier Stunden vor Rennende kann Kai meinen Vorsprung egalisieren. Er erweist sich als echter Sportsmann und statt demoralisierend an mir vorbei zu sprinten gibt es ein paar aufmunternde Worte und das Angebot etwas zusammen zu fahren. Zu gerne würde ich darauf eingehen und die letzten Stunden des Rennens nochmal Gas geben, aber ich kann gerade einfach nicht mehr zulegen und bewältige sogar die ein oder andere Rampe schiebend. Also gratuliere ich ihm und schicke ihn weiter. Um ehrlich zu sein hadere ich die nächste halbe Stunde ziemlich mit meiner Performance und der Situation. Aber dann besinne ich mich auf meine ursprünglichen Ziele beim Rennstart und kann mich auch wieder über meine aktuelle Platzierung freuen.

Let’s call it a day

So ziehe ich weitere drei Runden um den See. Aber Freude am Fahren will in meiner körperlichen Verfassung nicht mehr so richtig aufkommen. Also stoppe ich nach 22,5h an meiner Verpflegungsbox und frage ein paar Zuschauer, die ihr Handy in der Hand halten, nach der aktuellen Rangliste. Kai hat in der Zwischenzeit einen deutlichen Vorsprung nach vorne und der Drittplatzierte Helmut Wolf liegt 4 Runden zurück. Mein zweiter Platz ist somit in Stein gemeißelt. Ich beschließe also meine erste längere und auch finale Pause im Rennen einzulegen. Dazu fahre ich noch ein letztes Mal über die Zeitnahmestreifen im Start-/Zielbereich und tausche dann das Bike glücklich über meinen zweiten Platz gegen eine wohltuende Dusche.

Davor bedanke ich mich noch herzlich bei meiner Frau und gratuliere noch meinen Kids, die am Sonntagvormittag beide beim Kids-Race an den Start gegangen sind.

Frisch geduscht geht es gemeinsam mit Familie und Freunden ins Café des Campingplatzes, um den Körper wieder an feste Nahrung zu gewöhnen und dann gleich weiter zur Siegerehrung, bei der ich mich riesig über meinen zweiten Platz in einem solch starken Starterfeld freue.

Riesen Respekt an Kai für seine Aufholjagd im letzten Viertel des Rennens. Aber auch an alle anderen Starter, die die Herausforderung am Alfsee in Angriff genommen haben!

Nachbetrachtung

Nach der Siegerehrung wird es nochmal richtig hart, als ich ziemlich geschafft von den Strapazen des Wettkampfs und einer Nacht ohne Schlaf das ganze Equipment wieder im Wohnmobil verstauen muss, damit wir uns auf den Heimweg machen können. Da die Kinder am nächsten Tag wieder in der Schule sein müssen, ist eine weitere Übernachtung am Alfsee leider keine Option. Ein riesen Dankeschön an dieser Stelle nochmal an meine Frau Sandra, die uns souverän über 500km nach Hause fährt, während ich und die Kinder den größten Teil der Heimfahrt schlafend in unseren Sitzen hängen.

Den Montag habe ich wohlweislich frei genommen, um zu Hause ohne Stress Zeit zu haben das ganze Equipment zu verarzten, dem Bike die wohlverdiente Pflege zukommen zu lassen, und zwischendurch die Energiespeicher wieder aufzufüllen.

Obwohl ich mit der Platzierung zufrieden bin, habe ich mir natürlich trotzdem Gedanken gemacht, was nächstes Mal anders laufen müsste, um die Performance der ersten 18 Stunden über die ganze Dauer aufrecht zu erhalten. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob sich der Einbruch einem einzelnen Umstand zuordnen lässt oder eher einer Kombination aus verschiedenen Faktoren. Ein paar Optimierungen wären sicher:

  • Fully statt Hardtail
  • Flaschen in der Nacht warmstellen (lieber einen Umweg übers Wohnmobil in Kauf nehmen, als sich stundenlang nur von Flüssigkeit zu ernähren, die knapp über dem Gefrierpunkt liegt)
  • Support an der Strecke rund um die Uhr (dauerhaft jemand an der Strecke, der Transparenz zu den Abständen gibt, hätte evtl. taktisch eine Überrundung zur Rennhälfte ermöglicht, als der Druck noch da war. Außerdem wäre eine Ernährungsanpassung usw. leicht möglich gewesen)
  • Auch feste Nahrung in die Verpflegungsbox (die Energie aus der kalten Flüssigkeit konnte nicht mehr gut aufgenommen werden). Außerdem musste ich die Energieaufnahme im Vergleich zum Plan deutlich reduzieren, um nicht alle zwei Runden pinkeln zu müssen. Wenn es kalt ist wird einfach zu wenig geschwitzt 😉
  • Ob zu viel Druck an den steilen Rampen in der ersten Rennhälfte auf Dauer eine Ursache war ist schwierig zu sagen. Auf jeden Fall zeigt die Powerzonenauswertung für die gesamte Veranstaltung fast 60Minuten in Bereichen der VO2Max und darüber.

Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass das Potential da ist, im 24h-Bereich bei starker Konkurrenz ganz vorne mitzumischen. Mein nächstes Abenteuer wird mit dem Navad 1000 zwar mit Bikepacking und einer deutlich längeren und anspruchsvolleren Strecke ganz andere Herausforderungen bergen, aber ich werde ganz sicher auch in Zukunft wieder an der Startlinie eines 24h-Rennens stehen 🙂

Vielen Dank an meine Unterstützer von www.centurion.de, http://www.bike-werf.de/, https://www.spirgrips.com/, https://www.slowbuild.eu/ und https://www.tune.de/ für euren Support. Euer Material hat 22,5h ohne eine Panne klaglos die Strapazen der Strecke auf sich genommen.

Strava:  https://www.strava.com/activities/2363077396

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